Die 85 Fellachenmärchen, die hier erstmals zusammengestellt und übersetzt worden sind, zeigen die reiche Tradition der ägyptischen Volksüberlieferung, die man ununterbrochen über vier Jahrtausende zurückverfolgen kann.
Im alten Ägypten wurden die ersten Märchen um 2000 v. Chr. in Papyrusrollen
aufgeschrieben, und sind dort schon erste Zeugnisse einer reichen mündlichen
Erzähltradition, die über die langen Epochen der persisch-griechisch-römisch-byzantinischen Fremdherrschaft schließlich in die arabische Märchentradition übergeht, von der die klassische Sammlung 1001 Nacht am bekanntesten ist. Sie wurde übrigens in Kairo zusammengestellt und schriftlich fixiert, wobei auch durchaus
mündlich erzählte einfache Geschichten aus der Volksüberlieferung der Fellachen
Aufnahme fanden, ebenso wie hochkomplexe Dichtermärchen.
Die ungebrochene Tradition der erzählten Märchen, die sich in koptischen Heiligenlegenden ebenso zeigt wie in lateinisch-griechischen Erzählungen, die aus Ägypten stammen, ist erst in der modernen Zeit abgerissen, berufliche Märchenerzäh-ler gibt es nicht mehr, ich selbst habe sie in den sechziger und siebziger Jahren in Oberägypten in abgelegenen Dörfern noch erleben können. Um so wichtiger sind diese Fellachenmärchen, weil sie einen Reichtum an Erfindung, Witz und Komik zeigen, der in anderen Volksmärchensammlungen nur sehr schwer zu finden ist.
Die Sprache der Märchen ist das vulgäre Ägyptisch-Arabisch; es ist nicht leicht in
arabische Buchstaben zu fassen oder in Umschrift wiederzugeben, da es vokalische
Eigenarten und sprachliche Besonderheiten besitzt.
Und es ist erst recht nicht leicht zu verstehen, wenn man von dem Studium des
klassischen Arabisch herkommt, wie es etwa im Koran enthalten ist.
Die Ausdrucksweise ist ganz einfach, zuweilen mit Binnenreimen stilisiert; auch die
Anfänge und Schlußpassagen der Erzählungen sind oft gereimt, sie werden von den
Zuhörern im Chor alternierend gesprochen, teils sogar gesungen. Auch die Verse, die
sich in den Märchen verstreut finden, werden gemeinsam rezitiert.
Über die möglichen Bezüge zu einzelnen Kulturkreisen habe ich in der Einführung
das Nötigste zusammengestellt und bin mir bewußt, daß ich längst nicht alles
berücksichtigt habe. Diese Aufgabe können andere Märchenforscher übernehmen,
die diese Sammlung als willkommene Ergänzung der erzählten Volksliteratur
betrachten werden.
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