Heute und damals
Die letzten sommerlichen Tage stemmen sich gegen die Vorläufer des Herbstes. Die Nächte sind kälter geworden. Unmerklich färbt sich die Natur, um vor dem weissen Winterschlaf ein letztes Mal in flammenden Farben aufzuglühen. Ein lang andauernder Altweibersommer hat die Tageshitze tagelang zurückgehalten, doch nun steht seine Macht auf der Kippe. Von Westen her nähern sich, als erste Vorboten eines kaltfeuchten Herbstes, grauschwarze Wolken.
Zur Abendzeit entlädt sich der gewitterschwangere Himmel mit ungeheurer Wucht und lässt Regen und Blitze auf die Erde heruntersausen, dass es nur so «tätscht», wie es im hochalpinen Dialekt heisst.
Seit Stunden sitzt Frieda wie eine Mumie vor ihrem Schreibtisch und starrt ins Leere.
Sie sieht weder das Kruzifix an der Wand vor ihr noch das Fenster daneben und schon gar nicht die Welt dahinter.
Fertig. Aus. Das Herz in ihrer Brust ist zur Grabstätte ihrer irrsinnigen Hoffnungen geworden.
Auf dem Tisch ausgebreitet liegt der Brief, der ihre Niederlage vor dem Kantonsgericht bestätigt.
Es bliebe zwar noch der Rekurs ans Bundesgericht, aber wie ihr der Anwalt eben am Telefon mitgeteilt hat, sind die Chancen auf Erfolg gleich null. Das Bundesgericht ist im Grunde ein Kassationsgericht, das Urteile kantonaler Gerichte nur bei Prozedurfehlern umstösst. Die Anwälte Blatters haben sich jedoch sorgfältig davor gehütet, einen solchen zu begehen. Die Partie ist aus. Die Totenruhe des alten Friedhofs wird endgültig der hektischen Moderne weichen.
Trotz Friedas Drängen hat von Riedmatten das Handtuch geworfen. In ihrem Interesse, wie er ihr eben am Telefon sagte. Wollte sie weitermachen, müsste sie ihre Liegenschaften veräussern, das Haus und die beiden Wohnungen – der Pachtbetrieb musste schon dran glauben –, was er als Anwalt nicht verantworten könne. Ja, wenn noch die geringste Aussicht auf Erfolg bestanden hätte. Aber so … das wäre nur zum Fenster hinausgeworfenes Geld…
…
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